Initiativen der Europäischen Union zu Technologien und Produkten haben eine große Bedeutung für die Versorgung der Bürgerinnen und Bürger in Europa und die Wirtschaftlichkeit der Gesundheits- und Pflegesysteme. Der GKV-Spitzenverband begleitet diese Initiativen mit dem Ziel, den Nutzen für die Patientinnen und Patienten sowie die Beitragszahlenden zu stärken.
Gesundheitstechnologien bewerten
Die Bewertung von Gesundheitstechnologien hat sich international als ein wichtiger Pfeiler für die Sicherstellung einer qualitativ hochwertigen gesundheitlichen Versorgung etabliert. Alle Patientinnen und Patienten in der Europäischen Union sollten von wissenschaftlich fundierten und unabhängigen Informationen über den Nutzen von Arzneimitteln und Medizinprodukten profitieren und sich auf eine sichere und wirtschaftliche Versorgung mit diesen Produkten verlassen können. Der GKV-Spitzenverband begrüßt daher das Ziel, die Zusammenarbeit bei der Bewertung von Gesundheitstechnologien innerhalb der Europäischen Union zu verstetigen und schrittweise auszubauen. Dabei müssen explizit auch Medizinprodukte bewertet werden können, um ihrer Bedeutung für die Versorgung der Patientinnen und Patienten gerecht zu werden.
Die künftige Zusammenarbeit sollte von einer führenden Rolle der mitgliedstaatlichen HTA-Orga¬nisationen und einem hohen Maß an Konsensorientierung und Transparenz gekennzeichnet sein. Ein wesentlicher Schritt zur intensiveren EU-Kooperation ist, einen Konsens über die Ausgestaltung des Bewertungsprozesses zu erzielen. Die zugrundeliegende Methodik muss auf den internationalen Standards der evidenzbasierten Medizin basieren und darf nicht hinter das in den Mitgliedstaaten bereits Erreichte zurückfallen.
Die nationalen Bewertungsorganisationen brauchen ausreichend Flexibilität, damit die Bewertungsergebnisse im Kontext der unterschiedlichen Gesundheitssysteme sinnvoll verwendet werden können. Klar muss auch sein: Entscheidungen über Erstattung und Preissetzung bleiben Aufgabe der einzelnen Mitgliedstaaten. In das gemeinsame Horizon Scanning (Vorausschau neu entstehender Gesundheitstechnologien) müssen die Kostenträger einbezogen werden.
Arzneimittelmarkt regulieren
Eine bezahlbare Arzneimittelversorgung auf einem hohen Qualitätsniveau für Patientinnen und Patienten sicherzustellen, ist angesichts hoher Arzneimittelpreise eine europaweite Herausforderung. Die europäisch einheitlichen Regelungen zur Marktzulassung für Arzneimittel und gemeinsame Anreizsysteme für bestimmte Arzneimittelgruppen bedingen eine Mitverantwortung der EU für eine sichere, qualitativ hochwertige und innovative Arzneimittelversorgung.
Die vom Gesundheitsministerrat angestoßene Debatte zur Verstärkung der Ausgewogenheit der Arzneimittelsysteme in der EU und ihren Mitgliedstaaten darf nicht verpuffen. Die EU muss bestehende Anreize für die Industrie zur Entwicklung von Arzneimitteln systematisch überprüfen.
Es ist besorgniserregend, dass neue Arzneimittel für immer kleinere Patientengruppen zugelassen und dabei extrem hohe Preise verlangt werden, auch wenn der Nutzen nicht eindeutig belegt ist. Anreizsysteme für die Entwicklung von Arzneimitteln im Bereich von wirklich seltenen Erkrankungen müssen einen echten Zusatznutzen für die Patientinnen und Patienten bieten. Die Erfahrungen mit beschleunigten Zulassungsverfahren zeigen, dass zugesagte Daten zu Sicherheit und Nutzen oft nur unvollständig oder verspätet von den herstellenden Unternehmen nachgereicht werden. Durch beschleunigte Zulassungsverfahren darf es nicht zu Abstrichen bei der Sicherheit für die Patientinnen und Patienten kommen. Nicht zuletzt deshalb sollte eine beschleunigte Zulassung von Arzneimitteln unbedingt auf echte Versorgungslücken fokussieren. Diese Sonderregelungen dürfen nicht zu Preisen führen, die die nachhaltige Finanzierung der Gesundheitssysteme gefährden können.
Auch in Bezug auf die Versorgung der Patientinnen und Patienten mit innovativen Arzneimitteln kommt Forschung und Entwicklung auf europäischer Ebene eine wichtige Rolle zu. Um den Nutzen für die Patientinnen und Patienten zu maximieren und deren Zugang zu innovativen und bezahlbaren Arzneimitteln sicherzustellen, sollten öffentliche Investitionen in Forschung und Entwicklung in Bereiche gelenkt werden, in denen die dringendsten medizinischen Bedarfe bestehen. Bei der Setzung der Prioritäten der europäischen Forschungsagenda müssen die Kostenträger der Mitgliedstaaten einbezogen werden. Außerdem müssen sich öffentliche Investitionen in die Forschung und Entwicklung von Arzneimitteln in der Preissetzung widerspiegeln.
Europaweit haben Lieferengpässe und Verunreinigungen von Wirkstoffen das Vertrauen der Patientinnen und Patienten in die Arzneimittelversorgung beeinträchtigt. Ursache für Lieferengpässe ist vor allem die Produktionsverlagerung auf wenige Standorte. Lieferengpässe sind aus Sicht des GKV-Spitzenverbandes nicht hinnehmbar. Die Versorgung der Patentinnen und Patienten mit Arzneimitteln ist durch die Lieferkette zu garantieren.
Bringt ein pharmazeutisches Unternehmen ein Arzneimittel auf den europäischen Markt, muss es für die Qualität des Präparates haften und diese beim Wirkstoffhersteller kontrollieren. Die zuständigen Behörden sind mit erweiterten Durchgriffsrechten und Sanktionsmöglichkeiten auszustatten, um die Versorgung der Patientinnen und Patienten mit Arzneimitteln zu gewährleisten.
Medizinprodukteverordnung umsetzen
Nach jahrelanger politischer Auseinandersetzung ist Ende Mai 2017 die europäische Medizinprodukte-Verordnung in Kraft getreten. Mehr Transparenz und Sicherheit beim Inverkehrbringen und höhere Qualitätsanforderungen an die klinische Bewertung von Medizinprodukten sind ein wichtiger Schritt zur Verbesserung der Patientensicherheit und Versorgungsqualität. Ab Ende Mai 2020 müssen alle Medizinprodukte nach neuem Recht in Verkehr gebracht werden.
Die Umsetzung durch die Mitgliedstaaten und die Europäische Kommission läuft nach Plan. Die überwiegende Anzahl der Benannten Stellen, deren Aufgabe es ist, die Prozesse des Inverkehrbringens von Medizinprodukten zu prüfen, hat ihre Benennung nach neuem Recht bereits beantragt. Die aus Sicht des GKV-Spitzenverbandes ausreichenden Übergangsfristen sollten von allen Beteiligten genutzt werden, um einen reibungslosen Übergang vom alten zum neuen Medizinprodukterecht zu gewährleisten. Gerade die Industrieverbände sind aufgefordert, diesen Prozess mit Informationen für ihre Mitglieder zu unterstützen. Dies wäre im Sinne des Patientenschutzes und würde den Innovationsstandort Deutschland stärken.
Derzeit ist es unmöglich, sich einen Überblick über auf dem europäischen Markt befindliche Medizinprodukte zu verschaffen. Auch gibt es derzeit keine Möglichkeit, Daten zur Sicherheit und Wirksamkeit einzelner Medizinprodukte an zentraler Stelle einzusehen. Nach den Vorgaben der neuen Medizinprodukteverordnung soll mit EUDAMED eine zentrale Datenbank für Medizinprodukte eingeführt werden, die im März 2020 in Betrieb gehen und deren Inhalt in Teilen öffentlich zugänglich sein soll.
Der GKV-Spitzenverband fordert, die Vorgaben der Medizinprodukteverordnung hinsichtlich einer öffentlichen Verfügbarkeit der Daten buchstabengetreu umzusetzen und sämtliche vorgegebenen Inhalte wie z. B. Informationen zu Konformitätsbewertungen, die Ergebnisse von Scrutiny-Verfahren, Angaben zu Zweckbestimmungen, Daten zu Sicherheit und Leistungsfähigkeit für Hochrisikoprodukte oder die Ergebnisberichte von klinischen Prüfungen transparent und gut recherchierbar für die Öffentlichkeit zugänglich zu machen.
Gesundheits-Apps prüfen
Gesundheits-Apps sind in immer größerer Zahl verfügbar und stoßen bei den Versicherten auf großes Interesse. Sie unterstützen die Versicherten dabei, ihre Gesundheit eigenverantwortlich mitzugestalten. Für Medizinprodukte-Apps muss bei der Bewertung der Nutzen für die Versicherten sowie die Qualität und Sicherheit dieser Produkte im Vordergrund stehen. Die Intensität der Prüfung muss sich dabei an ihrer Risikoklasse nach der Medizinprodukteverordnung orientieren. Medizinprodukte-Apps sollten in öffentlichen Datenbanken mit Angaben über Zweckbestimmung, Risikoklasse und Nutzennachweis verzeichnet sein. Ein europaweiter Austausch der Erkenntnisse und Erfahrungen mit Gesundheits-Apps kann auch über die gemeinsame Nutzenbewertung hinaus sinnvoll sein.