MELDUNG - BERLIN, 01.09.2025 Spürbare Verbesserungen notwendig

GKV-Spitzenverband

offizielles Portraitfoto Oliver Blatt, Vorstandsvorsitzender des GKV-Spitzenverbandes

Oliver Blatt

„Der erste Schritt wäre, dass überhaupt was passiert“, so bringt Oliver Blatt, Vorstandsvorsitzender des GKV-Spitzenverbandes, im Interview mit dem Tagesspiegel Background den Reformdruck in der gesetzlichen Krankenversicherung auf den Punkt. „Wir wundern uns schon ein bisschen über die Langatmigkeit der Politik. Klar gibt es in Deutschland viele Brennpunkte, aber mittlerweile sollte doch erkannt worden sein, dass das Thema Gesundheit und die Finanzierung der GKV im Fokus stehen müssen. Auch der Bericht des Bundesrechnungshofs spricht eine sehr deutliche Sprache.“

„Die Reformen der letzten Jahre haben vor allem dazu geführt, dass die Krankenkassen, und damit die Beitragszahlerinnen und Beitragszahler, für bestenfalls gleichbleibende Leistungen mehr ausgeben müssen“, so Blatt weiter. „Wir brauchen Reformen, bei denen die Bürgerinnen und Bürger spüren, dass das System besser wird. Das war in der Vergangenheit oft nicht so, nehmen wir zum Beispiel die Entbudgetierung der Kinderärzte. Sie hat uns 270 Millionen Euro gekostet, aber Verbesserungen sind nicht bekannt. Ab dem 1. Oktober sollen nun auch die Hausärzte entbudgetiert werden. Ich halte solche Reformen für fragwürdig.“

Strukturreformen voranbringen

Die Notwendigkeit von Strukturreformen, etwa im Krankenhaus- und Arzneimittelbereich, hebt Blatt in dem Interview hervor: „Das wird uns langfristig dabei helfen, weniger Geld auszugeben – beziehungsweise das Geld, das wir haben, besser auszugeben. Wir brauchen daneben unbedingt auch noch mal eine Diskussion darüber, dass, wenn wir als Krankenversicherung Geld für den Bund ausgeben, es auch zurückbekommen. Stichwort Bürgergeldempfänger, für die wir jährlich 10 Milliarden Euro zahlen. Und unser dritter konkreter Vorschlag ist ein Ausgabenmoratorium, damit wir nicht länger gezwungen sind, mehr Geld auszugeben als wir einnehmen.“

Krankenhausreform nicht verwässern

„Wir befürchten, dass die ursprünglich im Ansatz sinnvolle Krankenhausreform jetzt doch verwässert, wird“, so Blatt und erläutert: „Der Grund liegt vor allem im politischen Machtstreben der Bundesländer, die mit dem Pochen auf ihre Planungshoheit die dringend notwendigen Veränderungen der Versorgungsstrukturen verhindern wollen. Ein Beispiel ist dafür, jenseits der aktuellen Krankenhausreform, die Diskussion um Mindestmengen bei medizinischen Eingriffen: Obwohl Fachleute sich einig sind, wie wichtig diese sind – etwa für die Versorgung Neugeborener – klagen einige Länder nun dagegen, weil sie die Entscheidungshoheit behalten wollen. Durch das jetzt anstehende Krankenhausreformanpassungsgesetz drohen so viele Ausnahmeregelungen bei den Qualitätsvorgaben, dass die zentralen Ziele der Reform grundlegend gefährdet sind. Für die Sicherheit der 75 Millionen gesetzlich Versicherten brauchen wir eine bundesweit einheitliche und hohe Behandlungsqualität. Das würde im Übrigen auch den Privatversicherten zugutekommen, die ja in der Regel die Krankenhäuser mitnutzen."

Leistungskürzungen nicht notwendig

Zu der immer wieder aufkeimenden Diskussion um Leistungskürzungen hat Blatt eine klare Haltung. „Leistungskürzungen sollten nicht der erste Reflex in der Gesundheitsdebatte sein. Und sie sind aus heutiger Sicht auch nicht notwendig. Viel wichtiger ist es, die vorhandenen Mittel, aktuell rund 320 Milliarden Euro, sinnvoller und gezielter einzusetzen.“

„Die Praxisgebühr“, so Blatt in dem Tagesspiegel-Interview weiter, „wie wir sie hatten, war eine Luftnummer. Sie sorgte für bürokratischen Aufwand, Ärger bei Patientinnen und Patienten sowie in den Arztpraxen, war schwer einzutreiben und hatte kaum steuernde Wirkung. Bei höheren Selbstbeteiligungen besteht aber die Gefahr, dass Menschen aus Angst vor Kosten notwendige Arztbesuche meiden – das wäre gesundheits- und sozialpolitisch problematisch. Zwar gibt es den wirtschaftlichen Gedanken, dass etwas, das nichts kostet, weniger wertgeschätzt wird. Doch im Gesundheitswesen kann eine solche Gebühr soziale Ungleichheit verstärken, ohne echten Nutzen. Deshalb bin ich gegenüber einer Wiedereinführung der Praxisgebühr sehr skeptisch.“

Prävention ist Herzenssache

„Für mich ist die Prävention eine Herzensangelegenheit, aber es ist schwierig, jenseits der Pflege und Krankenversicherung für präventive Maßnahmen Unterstützung zu bekommen“, so Blatt. „Die Effekte sind oft erst langfristig sichtbar und die wissenschaftlichen Belege sind komplex sind. Dennoch ist es wichtig, präventiver zu denken und neue Versorgungsformen zu entwickeln, um langfristig Kosten zu senken und Pflegebedürftigkeit zumindest hinauszuzögern. Motivation und konkrete Projekte, die Erfolge zeigen, sind dabei entscheidend. Dabei ist Prävention eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe und darf nicht nur bei der Kranken- und Pflegeversicherung abgeladen werden.“

Dokumente und Links