Fokus: Europa - Kräfte bündeln, Potenziale nutzen

Positionen des GKV-Spitzenverbandes zur europäischen Gesundheitspolitik

Das Bild zeigt die Europaflagge.

In der europäischen Zusammenarbeit liegt großes Potenzial – auch für die gesetzliche Kranken- und Pflegeversicherung. Aus Sicht des GKV-Spitzenverbandes muss diese Zusammenarbeit genutzt werden, um Herausforderungen besser zu meistern und Zukunftsthemen gemeinsam anzupacken, um damit die Gesundheits- und Pflegepolitik in den Mitgliedstaaten zu unterstützen.

Die Gesundheitssysteme und die Herausforderungen in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union sind vielfältig. Gleichzeitig gibt es drängende Fragen, die sich nicht nur in Deutschland stellen: Wie lassen sich medizinische und pflegerische Versorgung und Prävention in einer sich wandelnden und mobileren Arbeitswelt organisieren? Wie lassen sich Innovationen im Sinne der Patientinnen und Patienten sowie der Beitragszahlenden identifizieren und nutzbar machen? Wie lassen sich Gesundheits- und Pflegesysteme finanziell nachhaltig gestalten?

In vielen Bereichen lassen sich die Kräfte auf europäischer Ebene sinnvoll bündeln. Eine stärkere europäische Zusammenarbeit bei der Bewertung von Medizinprodukten und Arzneimitteln muss dazu beitragen, eine qualitativ hochwertige gesundheitliche Versorgung der Patientinnen und Patienten mit neuen Produkten sicherzustellen. Auch bei der Digitalisierung ist gemeinsames Handeln sinnvoll. Elektronische Patientenakten und Rezepte müssen für die grenzüberschreitende Gesundheitsversorgung ausgetauscht werden können. Auch durch die gemeinsame Nutzung von Big-Data-Anwendungen und Künstlicher Intelligenz können die Versorgung der Versicherten verbessert und die ihr zugrunde liegenden Strukturen optimiert werden. Dabei profitieren die nationalen Gesundheitssysteme, wenn Forschungsschwerpunkte gemeinsam gesetzt und verfügbare Daten aus unterschiedlichen Quellen zusammengetragen werden.

Die Rolle der EU ist es, die Mitgliedstaaten bei der Gestaltung ihrer Gesundheitssysteme zu unterstützen. Die Hauptverantwortung tragen jedoch die Mitgliedstaaten. Im deutschen Gesundheitssystem können sich rund 73 Mio. gesetzlich Versicherte im Krankheitsfall darauf verlassen, dass sie eine qualitativ hochwertige Versorgung erhalten und am medizinischen Fortschritt unabhängig von ihrer wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit teilhaben. Klar ist aber auch: Angesichts eines Europas der offenen Grenzen und integrierter Arbeitsmärkte liegt eine gute gesundheitliche und pflegerische Absicherung für alle EU-Bürgerinnen und -Bürger auch im Interesse der Patientinnen und Patienten sowie der Beitragszahlenden in Deutschland.

Datenaustausch digitalisieren

Um die Kommunikation zwischen den Sozialversicherungsträgern europaweit effizienter und zuverlässiger zu gestalten, wird derzeit ein System für den elektronischen Austausch von Sozialversicherungsinformationen (Electronic Exchange of Social Security Information, EESSI) geschaffen. Die gesetzlichen Kranken- und Pflegekassen arbeiten mit Hochdruck daran, bis Mitte 2019 Sozialversicherungsdaten in standardisierter, elektronischer Form mit dem EU-Ausland auszutauschen.

Auch am Aufbau einer europaweiten Infrastruktur zum Austausch von Behandlungsdaten (eHealth Digital Service Infrastructure, eHDSI) beteiligt sich die GKV. Ziel ist es, auf elektronische Patientenkurzakten und Arzneimittelrezepte bei Behandlungen im Ausland grenzüberschreitend zugreifen zu können. Wesentliche Herausforderungen bei der europäischen Vernetzung sind aus Sicht des GKV-Spitzenverbandes die eindeutige Identifizierung und verlässliche Authentifizierung der zugreifenden Akteure, die Autorisierung von Leistungserbringenden im Ausland und die Gewährleistung der Vertraulichkeit der Gesundheitsdaten. Die nationalen Systeme sind dabei so zu vernetzen, dass es nicht zu Eingriffen in die nationalen Telematik-Infrastrukturen kommt.

Forschung fördern

Der GKV-Spitzenverband unterstützt das Ziel der Europäischen Union, durch Forschung im Bereich der Gesundheitssysteme und der Versorgung europaweite Herausforderungen gemeinsam anzunehmen und Anstrengungen auf europäischer Ebene zu bündeln. Insbesondere im Zuge der Digitalisierung im Gesundheitswesen ergeben sich hier neue Möglichkeiten zur Zusammenarbeit. Gemeinsame Forschungsprojekte im Rahmen des EU-Programms für Forschung und Innovation Horizon Europe mit synergetischen Fragestellungen und gemeinsamer Nutzung von Datenbanken oder Infrastrukturen könnten einen erheblichen europäischen Mehrwert generieren.

Bei seltenen Erkrankungen sowie bei Volkskrankheiten wie Krebs und Demenz und bei Infektionskrankheiten besteht nach Einschätzung des GKV-Spitzenverbandes erhebliches Potenzial für die europäische Zusammenarbeit bei der Datengenerierung, -nutzung und -auswertung.

Lohnend wäre auch die Klärung der Fragen, unter welchen rechtlichen und technischen Umständen Behandlungsdaten, Abrechnungsdaten und weitere in den Gesundheitssystemen anfallende Datenbestände im Rahmen von Forschungsdateninfrastrukturen grenzüberschreitend ausgetauscht oder gemeinsam genutzt werden können. Beim Setzen der Forschungsagenda auf EU-Ebene sollten die Kostenträger noch aktiver einbezogen werden. Neben der Forschungsförderung sollte die Europäische Union den Austausch über Prozessinnovationen und gute Praktiken der gesundheitlichen und pflegerischen Versorgungssteuerung weiter ausbauen und die Verbreitung von Forschungsergebnissen unterstützen.

Künstliche Intelligenz nutzen

Die deutsche Bundesregierung beabsichtigt, mit einer eigenen Strategie die Künstliche Intelligenz zu fördern. Mit Maßnahmen wie einem deutsch-französischen Forschungs- und Innovationsnetzwerk, einem europäischen Innovationscluster für Künstliche Intelligenz oder dem Vorhaben Important Project of Common European Interest wird die europäische Dimension dieses Themas deutlich. Mittelfristiges Ziel ist ein integriertes, gesamteuropäisches Netzwerk aus Wissenschaft und Wirtschaft.

Aus der Sicht des GKV-Spitzenverbandes hätte ein europäisches Netzwerk mit Infrastrukturen für einen Datenaustausch Potenzial für die Entwicklung von Behandlungsstrategien bei seltenen Erkrankungen. Wichtig ist dabei, die Sicherheit der Daten, die Datensouveränität der Patientinnen und Patienten sowie die Kontrolle und Nachvollziehbarkeit KI-gestützter Verfahren im Einklang mit der EU-Datenschutzgrundverordnung zu gewährleisten.

Betrug und Fehlverhalten bekämpfen

Auch im Bereich der Bekämpfung von und Prävention gegen Korruption und Betrug im Gesundheits- und Pflegewesen können große Datenmengen mit digitalen Ansätzen in grenzüberschreitender Zusammenarbeit systematisch genutzt und ausgewertet werden. Andere Branchen haben hiermit bereits langjährige Erfahrungen gesammelt. Angesichts zunehmender grenzüberschreitender Beziehungen bei Gesundheit und Pflege sollten europaweite Datennutzung und -analyse auch dazu beitragen, das Ausmaß grenzüberschreitenden Betrugs einschätzen und Fehlverhalten bekämpfen zu können. Die Förderung der Zusammenarbeit und möglicherweise eigener Initiativen der EU wären hier wünschenswert.

Initiativen der Europäischen Union zu Technologien und Produkten haben eine große Bedeutung für die Versorgung der Bürgerinnen und Bürger in Europa und die Wirtschaftlichkeit der Gesundheits- und Pflegesysteme. Der GKV-Spitzenverband begleitet diese Initiativen mit dem Ziel, den Nutzen für die Patientinnen und Patienten sowie die Beitragszahlenden zu stärken.

Gesundheitstechnologien bewerten

Die Bewertung von Gesundheitstechnologien hat sich international als ein wichtiger Pfeiler für die Sicherstellung einer qualitativ hochwertigen gesundheitlichen Versorgung etabliert. Alle Patientinnen und Patienten in der Europäischen Union sollten von wissenschaftlich fundierten und unabhängigen Informationen über den Nutzen von Arzneimitteln und Medizinprodukten profitieren und sich auf eine sichere und wirtschaftliche Versorgung mit diesen Produkten verlassen können. Der GKV-Spitzenverband begrüßt daher das Ziel, die Zusammenarbeit bei der Bewertung von Gesundheitstechnologien innerhalb der Europäischen Union zu verstetigen und schrittweise auszubauen. Dabei müssen explizit auch Medizinprodukte bewertet werden können, um ihrer Bedeutung für die Versorgung der Patientinnen und Patienten gerecht zu werden.

Die künftige Zusammenarbeit sollte von einer führenden Rolle der mitgliedstaatlichen HTA-Orga¬nisationen und einem hohen Maß an Konsensorientierung und Transparenz gekennzeichnet sein. Ein wesentlicher Schritt zur intensiveren EU-Kooperation ist, einen Konsens über die Ausgestaltung des Bewertungsprozesses zu erzielen. Die zugrundeliegende Methodik muss auf den internationalen Standards der evidenzbasierten Medizin basieren und darf nicht hinter das in den Mitgliedstaaten bereits Erreichte zurückfallen.

Die nationalen Bewertungsorganisationen brauchen ausreichend Flexibilität, damit die Bewertungsergebnisse im Kontext der unterschiedlichen Gesundheitssysteme sinnvoll verwendet werden können. Klar muss auch sein: Entscheidungen über Erstattung und Preissetzung bleiben Aufgabe der einzelnen Mitgliedstaaten. In das gemeinsame Horizon Scanning (Vorausschau neu entstehender Gesundheitstechnologien) müssen die Kostenträger einbezogen werden.

Arzneimittelmarkt regulieren

Eine bezahlbare Arzneimittelversorgung auf einem hohen Qualitätsniveau für Patientinnen und Patienten sicherzustellen, ist angesichts hoher Arzneimittelpreise eine europaweite Herausforderung. Die europäisch einheitlichen Regelungen zur Marktzulassung für Arzneimittel und gemeinsame Anreizsysteme für bestimmte Arzneimittelgruppen bedingen eine Mitverantwortung der EU für eine sichere, qualitativ hochwertige und innovative Arzneimittelversorgung.

Die vom Gesundheitsministerrat angestoßene Debatte zur Verstärkung der Ausgewogenheit der Arzneimittelsysteme in der EU und ihren Mitgliedstaaten darf nicht verpuffen. Die EU muss bestehende Anreize für die Industrie zur Entwicklung von Arzneimitteln systematisch überprüfen.

Es ist besorgniserregend, dass neue Arzneimittel für immer kleinere Patientengruppen zugelassen und dabei extrem hohe Preise verlangt werden, auch wenn der Nutzen nicht eindeutig belegt ist. Anreizsysteme für die Entwicklung von Arzneimitteln im Bereich von wirklich seltenen Erkrankungen müssen einen echten Zusatznutzen für die Patientinnen und Patienten bieten. Die Erfahrungen mit beschleunigten Zulassungsverfahren zeigen, dass zugesagte Daten zu Sicherheit und Nutzen oft nur unvollständig oder verspätet von den herstellenden Unternehmen nachgereicht werden. Durch beschleunigte Zulassungsverfahren darf es nicht zu Abstrichen bei der Sicherheit für die Patientinnen und Patienten kommen. Nicht zuletzt deshalb sollte eine beschleunigte Zulassung von Arzneimitteln unbedingt auf echte Versorgungslücken fokussieren. Diese Sonderregelungen dürfen nicht zu Preisen führen, die die nachhaltige Finanzierung der Gesundheitssysteme gefährden können.

Auch in Bezug auf die Versorgung der Patientinnen und Patienten mit innovativen Arzneimitteln kommt Forschung und Entwicklung auf europäischer Ebene eine wichtige Rolle zu. Um den Nutzen für die Patientinnen und Patienten zu maximieren und deren Zugang zu innovativen und bezahlbaren Arzneimitteln sicherzustellen, sollten öffentliche Investitionen in Forschung und Entwicklung in Bereiche gelenkt werden, in denen die dringendsten medizinischen Bedarfe bestehen. Bei der Setzung der Prioritäten der europäischen Forschungsagenda müssen die Kostenträger der Mitgliedstaaten einbezogen werden. Außerdem müssen sich öffentliche Investitionen in die Forschung und Entwicklung von Arzneimitteln in der Preissetzung widerspiegeln.

Europaweit haben Lieferengpässe und Verunreinigungen von Wirkstoffen das Vertrauen der Patientinnen und Patienten in die Arzneimittelversorgung beeinträchtigt. Ursache für Lieferengpässe ist vor allem die Produktionsverlagerung auf wenige Standorte. Lieferengpässe sind aus Sicht des GKV-Spitzenverbandes nicht hinnehmbar. Die Versorgung der Patentinnen und Patienten mit Arzneimitteln ist durch die Lieferkette zu garantieren.

Bringt ein pharmazeutisches Unternehmen ein Arzneimittel auf den europäischen Markt, muss es für die Qualität des Präparates haften und diese beim Wirkstoffhersteller kontrollieren. Die zuständigen Behörden sind mit erweiterten Durchgriffsrechten und Sanktionsmöglichkeiten auszustatten, um die Versorgung der Patientinnen und Patienten mit Arzneimitteln zu gewährleisten.

Medizinprodukteverordnung umsetzen

Nach jahrelanger politischer Auseinandersetzung ist Ende Mai 2017 die europäische Medizinprodukte-Verordnung in Kraft getreten. Mehr Transparenz und Sicherheit beim Inverkehrbringen und höhere Qualitätsanforderungen an die klinische Bewertung von Medizinprodukten sind ein wichtiger Schritt zur Verbesserung der Patientensicherheit und Versorgungsqualität. Ab Ende Mai 2020 müssen alle Medizinprodukte nach neuem Recht in Verkehr gebracht werden.

Die Umsetzung durch die Mitgliedstaaten und die Europäische Kommission läuft nach Plan. Die überwiegende Anzahl der Benannten Stellen, deren Aufgabe es ist, die Prozesse des Inverkehrbringens von Medizinprodukten zu prüfen, hat ihre Benennung nach neuem Recht bereits beantragt. Die aus Sicht des GKV-Spitzenverbandes ausreichenden Übergangsfristen sollten von allen Beteiligten genutzt werden, um einen reibungslosen Übergang vom alten zum neuen Medizinprodukterecht zu gewährleisten. Gerade die Industrieverbände sind aufgefordert, diesen Prozess mit Informationen für ihre Mitglieder zu unterstützen. Dies wäre im Sinne des Patientenschutzes und würde den Innovationsstandort Deutschland stärken.

Derzeit ist es unmöglich, sich einen Überblick über auf dem europäischen Markt befindliche Medizinprodukte zu verschaffen. Auch gibt es derzeit keine Möglichkeit, Daten zur Sicherheit und Wirksamkeit einzelner Medizinprodukte an zentraler Stelle einzusehen. Nach den Vorgaben der neuen Medizinprodukteverordnung soll mit EUDAMED eine zentrale Datenbank für Medizinprodukte eingeführt werden, die im März 2020 in Betrieb gehen und deren Inhalt in Teilen öffentlich zugänglich sein soll.

Der GKV-Spitzenverband fordert, die Vorgaben der Medizinprodukteverordnung hinsichtlich einer öffentlichen Verfügbarkeit der Daten buchstabengetreu umzusetzen und sämtliche vorgegebenen Inhalte wie z. B. Informationen zu Konformitätsbewertungen, die Ergebnisse von Scrutiny-Verfahren, Angaben zu Zweckbestimmungen, Daten zu Sicherheit und Leistungsfähigkeit für Hochrisikoprodukte oder die Ergebnisberichte von klinischen Prüfungen transparent und gut recherchierbar für die Öffentlichkeit zugänglich zu machen.

Gesundheits-Apps prüfen

Gesundheits-Apps sind in immer größerer Zahl verfügbar und stoßen bei den Versicherten auf großes Interesse. Sie unterstützen die Versicherten dabei, ihre Gesundheit eigenverantwortlich mitzugestalten. Für Medizinprodukte-Apps muss bei der Bewertung der Nutzen für die Versicherten sowie die Qualität und Sicherheit dieser Produkte im Vordergrund stehen. Die Intensität der Prüfung muss sich dabei an ihrer Risikoklasse nach der Medizinprodukteverordnung orientieren. Medizinprodukte-Apps sollten in öffentlichen Datenbanken mit Angaben über Zweckbestimmung, Risikoklasse und Nutzennachweis verzeichnet sein. Ein europaweiter Austausch der Erkenntnisse und Erfahrungen mit Gesundheits-Apps kann auch über die gemeinsame Nutzenbewertung hinaus sinnvoll sein.

Versicherte der gesetzlichen Kranken- und Pflegekassen sind auch über Deutschlands Grenzen hinaus gut abgesichert. Die Verordnungen zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit eröffnen ihnen bei Aufenthalt in einem Staat der Europäischen Union, des europäischen Wirtschaftsraums und der Schweiz den Zugang zu den Gesundheitssystemen des Gastlandes. Die Koordinierung der sozialen Sicherungssysteme ist ein gutes Beispiel für eine sinnvolle europäische Zusammenarbeit im Interesse der Patientinnen und Patienten sowie der Beitragszahlenden. Um die Effektivität der Koordinierungsmechanismen zu gewährleisten, müssen sie stetig weiterentwickelt werden. In diesem Kontext setzt der GKV-Spitzenverband Impulse, die Grenzen überwinden helfen und die Mobilität der Versicherten unterstützen.

Europäische Krankenversicherungskarte voranbringen

Bei vorübergehendem Aufenthalt im europäischen Ausland ermöglicht die Europäische Krankenversicherungskarte (European Health Insurance Card, EHIC) den gesetzlich Krankenversicherten im Falle einer Erkrankung Zugang zu allen Sachleistungen, die sich unter Berücksichtigung der Art der Leistungen und der voraussichtlichen Aufenthaltsdauer als medizinisch notwendig erweisen. GKV-Versicherte werden bei Aufenthalt im europäischen Ausland so gestellt, als seien sie dort versichert. Um die Akzeptanz dieser Karte weiter zu erhöhen, ist sie aus Sicht des GKV-Spitzenverbandes weiterzuentwickeln. Die EHIC sollte europaweit flächendeckend an Versicherte ausgegeben werden, sodass eine möglichst reibungslose Inanspruchnahme von Sachleistungen sichergestellt werden kann. Auch Leistungserbringende selbst müssen stärker hinsichtlich der Akzeptanz der EHIC in die Pflicht genommen werden. Außerdem können weitere Identifizierungsmerkmale auf dem derzeit als Sichtausweis ausgestalteten Dokument, wie etwa ein Lichtbild, aufgenommen werden.

Die Abrechnung der im Ausland entstandenen Behandlungskosten mit demjenigen Träger, bei dem die Person versichert ist, muss effektiver gestaltet werden. Die Europäische Union muss die finanziellen Interessen der Beitragszahlenden wahren und weitere Steuerungsinstrumente zur Einhaltung von Fristen, zur Abrechnung und Durchsetzung von Forderungen in die Verordnungen aufnehmen.

Der GKV-Spitzenverband sieht auch den Vorstoß der Europäischen Kommission für eine europäische Sozialversicherungsnummer grundsätzlich positiv. Eine zusätzliche europäische Sozialversicherungsnummer als einheitliches systemübergreifendes Ordnungsmerkmal in allen Mitgliedstaaten kann bei entsprechender Ausgestaltung Verwaltungsaufwand bei den Sozialversicherungsträgern reduzieren und zu Vorteilen beim elektronischen Datenaustausch führen. Aus Sicht der gesetzlichen Krankenversicherung sollten grundsätzlich alle EU-Bürgerinnen und –Bürger sowie Versicherte aus Drittstaaten eine solche europäische Sozialversicherungsnummer erhalten.

Pflegebedürftige absichern

Auch Leistungen bei Pflegebedürftigkeit werden von den Verordnungen zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit der EU erfasst. Aufgrund der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes werden Pflegeleistungen behandelt wie Krankenleistungen. Pflegebedürftige können bei Aufenthalt im Ausland Pflegegeld erhalten oder vor Ort Sachleistungen in Anspruch nehmen.

Die Europäische Kommission hat einen Reformvorschlag vorgelegt, der mehr Transparenz schaffen soll. Ihr Gesetzesvorschlag sieht vor, ein eigenes Kapitel für Leistungen bei Pflegebedürftigkeit und eine gemeinsame Definition dieser Leistungen in die Koordinierungsverordnung einzufügen. Was auf den ersten Blick nach einer versichertenfreundlichen Regelung aussieht, könnte zu Erschwernissen für die Versicherten oder gar zu Anspruchsverlusten führen. Der GKV-Spitzenverband spricht sich daher dafür aus, Leistungen bei Krankheit und Pflegebedürftigkeit gemeinsam zu regeln. Durch entsprechende Anpassung der bestehenden Regelungen für die Leistungen bei Krankheit kann die Pflege transparenter koordiniert werden, ohne dass es zu unerwünschten Abweichungen von der bisherigen Koordinierung und Nachteilen für Versicherte kommt.

Europäische Arbeitsbehörde: Expertise bewahren

Mit dem Vorschlag einer Europäischen Arbeitsbehörde möchte die Europäische Kommission dafür sorgen, dass die Rechtsvorschriften zur Arbeitskräftemobilität in fairer, einfacher und wirksamer Weise durchgesetzt werden. Die Vorschläge betreffen auch einige Aufgaben aus dem Bereich der Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit, die bislang bei der Verwaltungskommission angesiedelt sind und von Expertinnen und Experten aus Mitgliedstaaten und von den Sozialversicherungsträgern wahrgenommen werden.

Aus Sicht des GKV-Spitzenverbandes muss klargestellt werden, dass die Aufgaben der bewährten Gremien weiter wahrgenommen werden und Mitgliedstaaten und die Sozialversicherungsträger auch künftig ihre Expertise in diesem Bereich einbringen können. Zuständigkeiten sollten hier nicht ohne sachliche Gründe von der mitgliedstaatlichen auf die EU-Ebene verschoben werden.

Brexit: Härten abfedern

Durch den Austritt des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland aus der EU gibt es für Versicherte sowie Patientinnen und Patienten nichts zu gewinnen. Mit dem Ende der Mitgliedschaft des Vereinigten Königreichs in der Europäischen Union entfallen auch die europäischen Regelungen zur Koordinierung der sozialen Sicherheit im Verhältnis zum Vereinigten Königreich, auf die sich Versicherte bislang verlassen konnten.

Für die Zukunft wird es Regelungen zwischen dem Vereinigten Königreich und der EU oder einzelnen Mitgliedstaaten geben müssen, um die soziale Absicherung der Bürgerinnen und Bürger in grenzüberschreitenden Sachverhalten zu gewährleisten. Für den GKV-Spitzenverband steht daher im Vordergrund, Nachteile für die Betroffenen abzuwenden und Rechtssicherheit hinsichtlich des Versicherungsstatus und der Ansprüche und Leistungen in der gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung zu schaffen.

Die Mitgliedstaaten gestalten, organisieren und finanzieren ihre Gesundheitswesen und die medizinische Versorgung eigenständig. Die Europäische Union verfügt über klar eingegrenzte Zuständigkeiten etwa im Bereich Arzneimittel und Medizinprodukte und bei der Unterstützung der Mitgliedstaaten. Dafür gibt es gemeinsame Lern- und Abstimmungsprozesse wie das Europäische Semester und die Europäische Säule sozialer Rechte.

Die Verträge verpflichten die Europäische Union, darüber hinaus in allen Politikbereichen soziale und gesundheitspolitische Aspekte zu beachten. Dies gilt auch für Initiativen zur Binnenmarkt- und Wettbewerbspolitik. In diesem Sinne müssen im Rahmen einer sozialen und gesundheitlichen Folgenabschätzung bereits vor dem Vorschlag neuer Gesetze durch die Europäische Kommission deren Auswirkungen auf die öffentliche Gesundheit und die Gesundheitspolitik geprüft werden.

Um neben der wirtschaftlichen Integration auch die soziale Dimension der Europäischen Union zu stärken, haben sich die EU und die Mitgliedstaaten mit der Europäischen Säule sozialer Rechte auf gemeinsame Prinzipien geeinigt. Dabei tragen die Mitgliedstaaten die Hauptverantwortung für ihre Sozialpolitik. Alle Mitgliedstaaten müssen die Funktionsfähigkeit ihrer Gesundheitssysteme und eine effiziente gesundheitliche und pflegerische Versorgung sicherstellen. Dies liegt in einem Europa ohne Binnengrenzen auch im Interesse der Versicherten und Beitragszahlenden in Deutschland. Ein hohes Sozialschutzniveau und der Abbau sozialer und gesundheitlicher Ungleichheiten in allen Mitgliedstaaten ist die Grundlage des langfristigen wirtschaftlichen und politischen Zusammenhalts der Europäischen Union.

Europäisches Semester

Im Rahmen des Europäischen Semesters überprüft die Europäische Kommission jährlich die Haushalts- und Reformentwürfe der Mitgliedstaaten mit dem Ziel, die nationale Haushaltsdisziplin und Wettbewerbsfähigkeit zu sichern. In den Berichten und Empfehlungen der Europäischen Union werden auch gesundheits- und pflegepolitische Aspekte thematisiert. Deutschland wurde in den vergangenen Jahren wiederholt empfohlen, eine wachstumsfreundliche Finanzpolitik zu betreiben und dazu die Kosteneffizienz der öffentlichen Ausgaben für Gesundheit und Pflege zu verbessern.

Aus Sicht des GKV-Spitzenverbandes sollten jedoch nicht fiskalische und Wachstumsaspekte im Vordergrund der Gesundheitspolitik stehen, sondern der Zugang zu Gesundheitsdienstleistungen, deren Qualität und Effizienz und damit der Nutzen für die Patientinnen und Patienten sowie die Beitragszahlenden.

Europäische Säule sozialer Rechte

Mit der Proklamation der Europäischen Säule sozialer Rechte im Jahr 2017 haben sich die Europäische Kommission, das Europäische Parlament und die Mitgliedstaaten auf gemeinsame, grundlegende Prinzipien für zwanzig Bereiche der Sozial- und Gesundheitspolitik verpflichtet. So soll jeder das Recht auf zeitnahen, bezahlbaren Zugang zu Präventions- und Gesundheitsleistungen von guter Qualität haben. Vergleichbares ist in der Pflege vorgesehen. Beim Zugang zum Sozialschutz ist vorgesehen, dass Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer unabhängig von Art und Dauer ihres Beschäftigungsverhältnisses und unter vergleichbaren Bedingungen Selbstständige das Recht auf angemessenen Sozialschutz haben sollen.

Um den Prinzipien Verbindlichkeit zu verleihen, hat die Europäische Kommission einen sozialen Anzeiger (Social Scoreboard) eingerichtet, um soziale Trends anhand ausgewählter Indikatoren langfristig beobachten zu können. Systematische Vergleiche und ein freiwilliger Erfahrungsaustausch zwischen den Mitgliedstaaten können aus Sicht des GKV-Spitzenverbandes dazu beitragen, voneinander zu lernen und die Pflege- und Gesundheitssysteme in Europa zu modernisieren.

Auch was die gesundheitliche und pflegerische Versorgung angeht, ist Europa in Vielfalt geeint. Charakteristisch für die deutsche gesetzliche Krankenversicherung sind deren Strukturprinzipien: die am medizinischen Bedarf orientierte gesundheitliche Versorgung, das Sachleistungsprinzip, das Solidaritätsprinzip, die Beitragsfinanzierung und die Steuerung durch die Selbstverwaltung. Sie sichern ein hohes gesundheitliches Versorgungsniveau und sind die Grundlage für notwendige und wichtige europäische Koordinierungs- und Reformprozesse.

Die Selbstverwaltung der gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung mit der unmittelbaren Mitwirkung der Beteiligten durch Vertreterinnen und Vertreter der Versicherten und Arbeitgebenden bei den Kranken- und Pflegekassen und ihren Verbänden ist ein leistungsfähiges System, das sich von rein staatlicher Steuerung oder rein privatwirtschaftlicher Allokation abgrenzt. Das System der Selbstverwaltung verbindet eine von staatlicher Einflussnahme weitgehend unabhängige Steuerung mit einer bedarfsgerechten und bezahlbaren Versorgung für alle. Gleichzeitig sichert die Beitragsfinanzierung eine weitgehende Unabhängigkeit vom Staatshaushalt.

Eine wichtige Voraussetzung für die Leistungsfähigkeit der Krankenkassen, die anders als privatwirtschaftliche Unternehmen keine Gewinnerzielungsabsichten haben, ist ein auf die Besonderheiten des sozialversicherungsrechtlichen Gesundheitsmarktes abgestimmter, solidarischer Wettbewerbsrahmen. Hierzu gehören der gesetzlich vorgegebene Leistungskatalog, der gesetzliche Versorgungsauftrag der Krankenkassen sowie ihre Verpflichtung, Versicherte ohne Gesundheitsprüfung aufzunehmen. Auch das europäische Binnenmarkt- und Wettbewerbsrecht muss diesen besonderen Anforderungen Rechnung tragen.

Sozialer Dialog

Die besondere Bedeutung der sozialpolitischen Steuerung durch soziale Selbstverwaltung in der Sozialversicherung findet auf europäischer Ebene ihre Entsprechung im Sozialen Dialog. Im Bereich der Sozialpolitik räumen die europäischen Verträge der Zusammenarbeit zwischen Gewerkschaften und Arbeitgebenden eine besondere Stellung ein. Sie sind bereits vor Unterbreitung sozial- und arbeitsmarktpolitischer Initiativen anzuhören. Ergebnis des Sozialen Dialogs können auch Vereinbarungen sein, die auf Beschluss des Rates rechtsverbindlich werden.

Der GKV-Spitzenverband vertritt alle gesetzlichen Kranken- und Pflegekassen in Deutschland und damit die Interessen der rund 73 Millionen Versicherten und Beitragszahlenden gegenüber Politik und Leistungserbringenden. Unter anderem berät er die Parlamente und Ministerien im Rahmen aktueller Gesetzgebungsverfahren.

Auch auf EU-Ebene begleitet und gestaltet der GKV-Spitzenverband wichtige Prozesse mit Stellungnahmen, Konsultationsbeiträgen und im internationalen Austausch. Der Gesetzgeber hat den GKV-Spitzenverband beauftragt, die Interessen der Krankenkassen bei über- und zwischenstaatlichen Organisationen und Einrichtungen wahrzunehmen. Hierbei kooperiert er eng mit den Verbänden der Kranken- und Pflegekassen auf Bundesebene. Um die Interessen der gesetzlichen Krankenversicherung effektiv zu vertreten, ist der GKV-Spitzenverband Mitglied in den Organisationen: Deutsche Sozialversicherung Europavertretung (DSV), European Social Insurance Platform (ESIP), Medicine Evaluation Committee (MEDEV).

Außerdem vernetzt sich der GKV-Spitzenverband auf europäischer Ebene mit zahlreichen Akteuren, etwa der Association Internationale de la Mutualité (AIM).

Die Deutsche Verbindungsstelle Krankenversicherung – Ausland (DVKA) im GKV-Spitzenverband unterstützt die Krankenkassen und ihre Versicherten bei der Auslegung und Abwicklung des über- und zwischenstaatlichen Krankenversicherungsrechts. Über sie werden im Ausland erbrachte Krankenversicherungsleistungen abgerechnet. Dies gilt auch für die Kosten, die deutsche Krankenkassen aushilfsweise für im Ausland versicherte Personen bei Behandlungen in Deutschland aufgewendet haben. Das Gesamtvolumen der Abrechnungen beträgt jährlich etwa 1,2 Mrd. Euro.

Die DVKA trifft für alle Bereiche der sozialen Sicherheit mit ausländischen Stellen Ausnahmevereinbarungen für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die vorübergehend im Ausland beschäftigt sind und in dieser Zeit in der deutschen Sozialversicherung abgesichert bleiben möchten. Zudem nimmt die DVKA die Aufgabe der Nationalen Kontaktstelle wahr, die nach der Richtlinie über die Ausübung der Patientenrechte in der grenzüberschreitenden Gesundheitsversorgung vorgesehen ist. Unter www.eu-patienten.de wurde eine zielgruppenorientierte Informationsplattform eingerichtet sowie die Möglichkeit zur telefonischen und persönlichen Beratung für Patientinnen und Patienten sowie Gesundheitsdienstleister geschaffen.

Somit bündelt der GKV-Spitzenverband europapolitische und operative Kompetenz im Interesse der Versicherten und Beitragszahlenden.

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